Christian Morgenstern

Christian Morgenstern, wurde am 6.5.1871 in München geboren. Er ist vor allen Dingen, als Humorist bekannt. Doch damit erfaßt man nur einen Bruchteil der Persönlichkeit Morgensterns. Vergessen bleibt darüber der engagierte Denker. Seine spätere Lyrik wurde zur Gedankendichtung "Philosophie in Versen", und führte ihn zu Nietzsche und Kierkegaard.

Aphorismen

Sollte in immer höherer Erkenntis und Liebe
(in immer höheren Formen)
nicht die Möglichkeit immer
höheren Glücks liegen?

Neue Deutsche Rundschau

Schließt denn Erkenntis die Liebe aus?
Oder ist es nicht vielmehr so:
je mehr Erkennen,
desto mehr Liebe?

Stufen

Wenn die Menschen mehr bedächten,
wieviel Glück von einem einfachen Gegenstand
ausgehen kann, ...würden sie unter den einfachsten Bedingungen
viel dankbarer gegen ihr Leben sein dürfen.

In me ipsum

...es gibt kein Aufhören der Bewunderung für liebende Augen.

Stufen

Es gibt nur einen Fortschrit,
nämlich den in der Liebe;
aber er führt in die Seligkeit Gottes selber hinein.

Stufen

Demut ist Wärme...
Vor dem Demütigen wird die Welt
sicher und vertrauend,
den Demütigen empfangen,
lieben und beschenken alle Dinge.

Stufen

Immer wieder:
Nicht so sehr,
was wir denken,
ist das Höchste.
Das Höchste ist das Denken selbst.

Weltbild: Am Tor

Es gibt in Wahrheit kein letztes Verständnis
ohne Liebe.

Stufen

Über jedem Gedanken,
Jeder Vorstellung
liegen hundert Gedanken
und Vorstellungen,
die uns das jeweils Gedachte,
jeweils Vorgestellte verhüllt.

Stufen

Eine Wahrheit kann erst wirken,
wenn der Empfänger für sie reif ist.
Nicht an den Wahrheiten liegt es daher,
wenn die Menschen
noch so voller Unweisheit sind.

Neue Deutsche Rundschau

Unsere Zukunft liegt nach wie vor im Geiste.

Stufen

Die Hälfte allen Unglücks-
vom gröbsten bis zum feinsten-
geht auf Unwissenheit oder Denkfehler zurück,
gewollte und ungewollte Ungeistigkeit.

Stufen

...wertvoller als der Weg selbst
scheint der Wille zu solch einem Weg.

Stufen

Aber wer andre Augen öffnen will,
muß vor allem selber die Augen
schon offen haben.

Neue Deutsche Rundschau

Man sieht oft etwas hundert Mal,
tausend Mal,
ehe man es zum allerersten Mal,
wirklich sieht.

Stufen

Einem Menschen wie mir
genügt es nicht,
ein Mal das richtige zu erkennen.

In me ipsum

Ein jeder soll den Weg des andern achten,
wo zwei sich redlich zu vollenden trachten.

Epigramme

Was ich heute tue,
tue ich nicht um meinet willen,
sondern um meiner Liebe
zum Menschen willen.

In me ipsum

Aber ich möchte eine reiche Wirksamkeit haben,
in der ich mit recht vielen Menschenherzen
in Berührung käme; ich glaube die Menschen
in vielem besser zu verstehen als die anderen.
Wer den Menschen erst größer aufzufassen gelernt hat,
der weiß ihre Tugenden und Fehler auch tiefer
und richtiger zu beurteilen.
Verstehen-
vergeben!
Herrlich wahres Wort!

Briefe

Was uns allen zumeist fehlt,
ist das tiefe,
dauernde Bewußtsein des wirklichen Elends auf Erden,
sonst würden wir über den Gefühlen einerseits des Mitleids,
anderseits des Dankes ganz der kleinlichen Misere
des eigenen Lebens vergessen.

Stufen

Unsere Kultuen sind noch vorwiegend egoistisch,
darum ist auch so wenig Segen in ihnen.

Neue Deutsche Rundschau

Der Nenner,
auf den heute alles gebracht wird,
ist Egoismus,
noch nicht-
Liebe.

Neue Deutsche Rundschau

Ich meine, es müßte einmal ein sehr großer Schmerz über die Menschen kommen,
wenn sie erkennen, daß sie sich nicht geliebt haben,
wie sie sich hätten lieben können.

Stufen

O helfen können,
helfen können-
es gibt nichts Größeres für menschliche Art!

Stufen

...Es gibt heute kine Ausflüchte mehr,
es gibt nur noch die Frage:
Wollen wir Mitmenschen,
die unverschuldet vor den Hungertod gestellt sind,
als Mitmenschen anerkennen,
d.h. ihnen helfen,
oder wollen wir sie mit einem
"ich kenne den Menschen nicht"
verleugnen und ihnen nicht helfen.

Briefe

Denn alles Gute braucht Zeit,
lange Zeit...

Briefe

So wie "ich von Sekunde zu Sekunde lebe
und mir dessen bewußt bin-
(aber das alles ist nicht ich,
das ist die Unendlichkeit,
die in mir fortwährend weiterlebt),
so lebt die gesamte Wirklichkeit
wie ein einziger gigantischer Körper
in ihrer eigenen,
von mir vermittelten Vorstellung
von Sekunde zu Sekunde.

Weltbild: Episode

Der Duft der Dinge
ist die Sehnsucht,
die sie uns
nach sich erwecken.

Stufen

Je mehr Bewegung
man in seinem Geiste auffasst,
je glücklicher ist man.
Überall die Bewegung aufzuzeigen,
das schafft das meiste Glück.

Stufen

Wenn du die Welt
an jedem Tag nicht
neu erobern willst,
verlierst du sie
von Tag zu Tag mehr.

Epigramme und Sprüche

Wer sich selber treu bleiben will,
kann nicht immer andern treu bleiben.

Epigramme und Sprüche

Lachen und Lächeln sind Tor und Pforte,
durch die viel Gutes
in den Menschen hineinhuschen kann.

Epigramme und Sprüche

Gedichte

Ich habe den Menschen gesehn...

Ich habe den MENSCHEN gesehn in seiner tiefsten Gestalt,
ich kenne die Welt bis auf den Grundgehalt.

Ich weiß, daß Liebe, Liebe ihr tiefster Sinn,
und daß ich da, um immer mehr zu lieben, bin.

Ich breite die Arme aus, wie ER getan,
ich möchte die ganze Welt, wie ER, umfahrn.

Wer vom Ziel nichts weiß...

Wer vom Ziel nicht weiß,
kann den Weg nicht haben,
wird im selben Kreis
all sein Leben traben;
kommt am Ende hin,
wo er hergerückt,
hat der Menge Sinn
nur noch mehr zerstückt

Wer vom Ziel nichts kennt,
kann's doch heut erfahren;
wenn es ihn nur brennt
nach dem Göttlich-Wahren;
wenn in Eitelkeit
er nicht ganz versunken
und vom Wein der Zeit
nicht bis oben trunken.

Denn zu fragen ist
nach den stillen Dingen,
und zu wagen ist,
will man Licht erringen:
wer nicht suchen kann,
wie nur je ein Freier,
bleibt im Trugesbann
siebenfacher Schleier.



Monika Hubl-Moussa

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